laufmonster.de

Laufmonster.de

Wer lange läuft, der ist hier richtig!

Auf den Spuren der Legenden: 100 Kilometer von Kienbaum

2013-03-16_00582.jpg

In den letzten zweieinhalb Jahren, die ich nun mehr oder weniger regelmäßig und zielgerichtet laufe, habe ich an einer ganzen Reihe von Wettkämpfen teilgenommen. Es war mir schnell klar, dass bei der Lauferei für mich der Spaß dort anfängt, wo die meisten anderen sich längst dem After-Run-Programm verschrieben haben. Ein Leichtathletik-Rennen auf der Bahn habe ich bis heute nicht bestritten und auch die 10 km auf der Straße mag ich nicht besonders. Erst ab Halbmarathon, da wird das ganze langsam interessant. Marathon ist eine nette Strecke, aber auch über die Marathon-Distanz hinaus habe ich mich das ein oder andere Mal gewagt, doch weiter als 71,762 km habe ich es dabei auch noch nicht gebracht.

Dennoch spukten die „magischen“ 100 km seit einiger Zeit im Kopf und so beschloss ich, mich in diesem Frühjahr an diese Distanz zu wagen. Vom Termin her konzentrierte sich meine Wahl sehr schnell auf den 100 km-Lauf rund um das Bundesleistungszentrum Kienbaum in der Gemeinde Grünheide bei Berlin am 29. März. 100 km Läufe gibt es eben nicht an jeder Ecke und ich wollte unbedingt eine vermessene Strecke, denn neben der persönlichen Auseinandersetzung mit dieser neuen Herausforderung wollte ich auch eine offizielle, bestenlistenfähige Zeit herauslaufen. Die Vorbereitung verlief problemlos, etwa 100 Kilometer im Wochenschnitt konnte ich seit Anfang Januar abspulen, verschont von Blessuren und Erkältungen. Für mich ein ambitioniertes Pensum, verglichen mit dem Aufwand anderer Marathon- und Ultraläufer aber sicher nicht die Welt. Trotzdem: Die Trainingskilometer flossen dahin und die Form stieg.

Zu Karneval entfloh ich dem Rheinland und verbesserte aus dem Training heraus meine 50-km–Bestzeit beim Marburger Lahntallauf am 2. März um mehr als drei Minuten auf 3:19:25 Std. und konnte nebenbei meinen ersten Sieg in einem Ultralauf einfahren (Bericht bei Laufreport). Eine kilometerarme Erholungswoche später dann ein Start über die 10 km Rund um das Bayerkreuz in Leverkusen und unerwartet sprang auch hier eine neue Bestzeit heraus: 34:12 Minuten.

Danach war aber auch wieder Schluss mit Tempogebolze und ich konzentrierte mich im Training auf eine gemütliche Pace von 4:15 bis 4:20 min/km, mit dem Höhepunkt eines 35 km + 35 km Trainingssonntags zwei Wochen vor dem Lauf in Kienbaum. Diese Woche war dann auch mit 170 Kilometern das Kernstück und der Abschluss der Vorbereitung

Nach 12 Tagen Taperings dann freitags die Anreise nach Kienbaum. 600 Autokilometer quer durch Deutschland machen an einem Freitagmittag nicht wirklich Spaß, aber ich hatte ja immerhin keinen Zeitstress. Die Startunterlagen holte ich noch am Abend ab und nach einer kurzen Nacht stand ich dann am folgenden Morgen um 6:30 Uhr mit etwa 50 anderen Läufern am Start der 100 km. Vorher hatte ich noch meine Eigenverpflegung auf einem eigens mitgebrachten Campingtisch in der „Verpflegungsgasse“ zu Beginn der Runde deponiert. Die Strecke in Kienbaum verläuft auf einem ganz leicht welligen, aber gut zu laufenden 5 km Rundkurs, auf dem bereits auch mehrfach die Deutschen Meisterschaften ausgetragen wurden. In diesem Jahr gab es aber keine 100 km DM, ledigliche eine Meisterschaft der Verbände Berlin und Brandenburg.

2014-03-29_00929.jpg

Dafür trug aber die Deutsche Ultramarathon Vereinigung (DUV) die Meisterschaft über 50 km dort aus, allerdings erfolgte der Start der 50 km erst um 9 Uhr. So waren wir bei 4° und Nebel zunächst mal relativ einsam unterwegs. Am Start setzte sich der Berliner Dirk Kiwus an die Spitze, gefolgt von Florian Böhme aus Göppingen. Ich wollte die erste Runde im 4:20er Schnitt angehen, hängte mich aber dann doch an Florian dran, der ein wenig schneller lief. Hinter uns klaffte schnell ein Loch, die Verfolger Achim Zimmermann, Jürgen Kiebler und Peter Kaminsky liefen konstant einen 4:25er Schnitt. Die erste Runde hatten Florian und ich dann nach 21:22 Minuten absolviert, ein Schnitt von 4:16 Min/km. Auf diesem Tempo wollte ich mich bei guten Beinen „einpendeln“. Die Beine waren auch gut, aber vorne setzte Dirk Kiwus die Pace und Florian blieb in Sichtkontakt.

Ich wollte mein Tempo konstant weiterlaufen, aber es gelang mir vom Kopf her einfach nicht, Florian laufen zu lassen und so hielt auch ich zumindest Sichtkontantakt. So kam es dann auch, dass ich weiterhin etwas zu schnell lief und zur Halbzeit nach 3:30 h etwa fünf Minuten vor meinem Plan lag. Pace 4:12 statt wie geplant 4:18. Würde sich das hinten raus rächen? Mein Plan hatte einen Leistungsabfall auf der zweiten Hälfte durchaus eingerechnet, schließlich war es eine ungewohnte Distanz und für einen Ultraläufer hatte ich dann ja auch wieder nicht so mörderviele Kilometer in der Vorbereitung. Aber die erste Hälfte hatte mehr Kraft gekostet, auch wenn das zu diesem Zeitpunkt noch nicht spürbar war.

Immerhin konnte ich Florian nun langsam „weglaufen“ lassen. Die Kilometer 50-60 gingen in 43:13 Min (4:19), ab Kilometer 65 wurde es dann zäher und die Pace fiel jenseits der 4:30 min/km. Dennoch konnte ich die 70 Kilometer noch unter der avisierten 5 Stunden Marke erreichen. Jetzt war die Rechnung einfach: Noch 30 Kilometer und bereits ein stinknormaler 5er-Schnitt würde mir ein 100-Km Debüt unter 7:30 Stunden bescheren, das große Ziel, das ich mir gesetzt hatte. Aber was würde auf den letzten 30 noch passieren?

2013-03-10_00012.jpgZunächst einmal kam der Krampf – bei km 72 auf der in den ersten Runden kaum spürbaren „Steigung“ auf der Bitumenbahn schoss es mir hinten links in den Oberschenkel. Ich fluchte innerlich und kramte das Salztütchen eines Burgerbraters aus der Hosentasche. Salz schlucken war kein Problem, leider kein Wasser zum nachspülen. Ich ging nun zwangsweise, das Natrium musste ja erst mal im Körper ankommen. Ich wurde nun von den 50 km-Läufern überholt und auch von einigen langsameren 100 km-Läufern, die ich zuvor überholt hatte, wieder eingeholt. Die mitfühlenden und aufmunternden Blicke, die Unterstützungszurufe und sogar Hilfsangebote waren toll für die Moral, auch wenn natürlich keiner in dem Moment etwas für mich tun konnte.

Jetzt hieß es aber erst mal die Runde zu Ende bringen und weitere Verpflegung aufnehmen. Nach etwa einem Kilometer Dahinschleichen konnte ich aber wieder anlaufen und Lauftempo aufnehmen. Nicht mehr ganz so zügig, aber dennoch war es wieder krampffreies Laufen. Für diese Runde brauchte ich dann auch 27:46 Minuten und unversehens musste wieder mehr als ein „stinknormaler“ 5er Schnitt her. Unterstützung gab es vom Streckenrand: Antje Krause, Mitglied des A-Kaders im 24-Stunden-Lauf, heute als Betreuerin im 50 Km-Lauf aktiv, forderte mich zum Beißen und Durchhalten auf und auch die übrigen Läufer und Betreuer in der Verpflegungsgasse bedachten mich mit Aufmunterung. So ging auch die folgende Runde wieder deutlich unter 5er-Schnitt und ich erreichte km 80 nach 5:50:30 h. Ich war wieder auf Kurs.

Mit meiner Platzierung im Rennen beschäftigte ich mich kaum, zu sehr war ich auf die mögliche Zielzeit und die noch zu absolvierenden Kilometer fixiert. In der nun folgenden Runde tauchte aber dann wie aus dem Nichts der lange führende Dirk Kiwus vor mir auf und so konnte ich mich kurz vor km 82 auf Position 2 vorschieben. Florian Böhme führte mittlerweile unangefochten, er war zu diesem Zeitpunkt knapp 10 Minuten voraus. Ich fürchtete meinerseits eher die Verfolger im Nacken, liefen dort schließlich mit Peter Kaminsky, Achim Zimmermann und Jürgen Kiebler erfahrene 100-km-Läufer, die ohne Zweifel mehr von Renneinteilung verstanden. Aber meine Hauptaufmerksamkeit galt weiterhin dem Ziel.

km 90 erreichte ich nach 6:39:13 h, nach wie vor konnte ich die müder werdenden Beine im Laufschritt vorwärts bewegen. Die letzte Flasche des dünn angerührten Iso-Getränk und dann ging es ab auf die letzten beiden Runden. Mittlerweile hatte sich die Sonne durch den Nebel gekämpft und es wurde richtiggehend warm. Es war aber ja auch nicht mehr weit, nur noch ein Katzensprung angesichts der bereits zurückgelegten Distanz. Auf dieser vorletzten Runde stieg dann auch die Gewissheit, dass ich es schaffen würde, nicht nur ins Ziel sondern auch unterhalb der 7:30 Stunden.

km 95, es ging in die letzte Runde, es gab noch einen Becher Wasser zum Mund ausspülen und über den Kopf, aber die letzte Verpflegungsstelle nahm ich wie in den ersten Runden: Im Laufschritt. Noch einmal die Verpflegungsgasse und leicht ansteigend zu Kilometer 1, danach auf die Bitumenbahn in den Wald hinunter zu Kilometer 2, die Profilierungen der Runde erschienen nie so groß wie auf dieser letzten Runde, aber das konnte mich nun auch nicht mehr schrecken. Dann noch einmal die 100 m „Wurzelstrecke“ bei km 2 (der einzige nicht asphaltierte oder betonierte Streckenteil) und wieder die Bitumenbahn hinauf mit der 3 auf dem Kilometerschild am Ausgang der Bahn. Danach noch einmal die Bundestraße entlang einige hundert Meter durch Kienbaum, bevor ich zum letzten Mal auf das Gelände des Bundesleistungszentrums einbiegen durfte. Nun ging es leicht abwärts über Betonplatten auf den Zielbereich zu.

2013-03-16_00572.jpgAm Komplex Kienbaum I vorbei zu km 4 der Runde, km 99 meines Laufs. Der letzte Kilometer hatte begonnen. Ich sah den Parkplatz und die Gebäude von Kienbaum II auftauchen, 7:25 rief mir jemand zu. Noch etwa 500m… Ich bog um die Ecke, kam nun in die Sicht des Zielsprechers, musste allerdings noch einmal über das Karree aus Betonplatten laufen um den Zielstrich zu erreichen. Eine etwas lästige Kurvenkombination, die einen flüssigen Endspurt verhindert, sofern man nach 100 km überhaupt noch von einem flüssigen Laufstil sprechen kann. So lief bzw. trudelte ich dann ohne Endspurt nach 7:27:06 Stunden als Zweiter des Laufs ins Ziel ein, ca. 7 Minuten hinter dem verdienten Sieger Florian Böhme.

Ich bin nun sichtlich geschafft, aber auch glücklich mit dem erreichten. Zwei bzw. drei Minuten nach mir laufen dann auch Peter Kaminsky und Dirk Kiwus als Dritter und Vierter ein, Dirk hat zwar trotz langer Führung das Podium knapp verpasst kann sich aber als 3facher Berlin-Brandenburger Meister (Einzel, AK und Team) sicher darüber hinwegtrösten. Auch seine Bestzeit hat er um über eine halbe Stunde verbessert, wie sich auch Florian und Peter um mehr als 25 Minuten gesteigert haben.

2014-03-29_00930.jpg

So geht mein erfolgreiches Debüt ein wenig unter, was mir aber auch herzlich egal ist. Schließlich bin ich in erster Linie für mich selbst gelaufen. Aber dennoch ist es nicht nur eine persönliche Bestleistung, die in den letzten 10 Jahren immer zu den Top10 der DLV-Jahresbestenliste gereicht hat, es ist auch Vereinsrekord im TV Refrath, Kreisrekord des Oberbergischen Kreises und ganz nebenbei die Erfüllung der aktuell gültigen Perspektiv-Kader-Norm des DLV bzw. Mannschaftsnorm für 100 km WM/EM, auch wenn die Chancen für eine Nominierung in diesem Jahr angesichts der doch wieder größeren Fülle von Läufern auf dieser Strecke nicht besonders wahrscheinlich ist. Aber ein klein wenig stolz bin ich schon.

Jetzt ist erst mal ein paar Tage Ruhe und Erholung angesagt, bevor ich zu den nächsten läuferischen Taten schreite. Allerdings gibt es auch abseits der Laufstrecken in 2014 genügend zu tun, also schau ich einfach mal, was da läuferisch überhaupt noch reinpasst. Eins ist aber sicher: Ein, wenn nicht sogar DAS Highlight des Laufjahres 2014 habe ich gerade hinter mir.

2014-03-29_00985.jpg

Fotos: Kai Engelhardt/Harri Schlegel

Bisheriger Rekord über 100 km im TV Refrath: Dr. Dirk Hogrefe in 8:35:14 Stunden am 10.04.1999

11 Kommentare zu „Auf den Spuren der Legenden: 100 Kilometer von Kienbaum“

  1. Wie schon gestern erwähnt, bist Du für mich damit jetzt schon „Laufmonster des Jahres“. Eine unglaubliche Leistung, vielleicht sogar die beste die je ein Laufmonster erzielt hat. Da kannst Du mehr als nur „ein bisschen stolz“ drauf sein! Genieße es in allen Zügen!

    LG Manuel

  2. Hi Moritz, auch von mir einen fetten herzlichen Glückwunsch. 100km laufen ist für mich so was von unvorstellbar. umso krasser ist dann noch die Zeit.
    erhol dich gut…
    Gruß Daniel

  3. Hallo Moritz, Herzlichen Glückwunsch zu dieser ganz, ganz tollen Leistung!
    Ein super Bericht. Beim Lesen kann man die Strapazen, die Du durchgemacht hast, nur erahnen. Erhol Dich gut.
    Lg. Manfred

  4. Hallo und guten Abend Moritz … Herzlichen Glückwunsch zu diesen phänomenalen Ergebnissen.
    Erhol dich gut … Ich bin gespannt was du noch alles zu leisten vermagst … wie wär`s noch mal mit Monschau ?
    Reinhard

  5. Oh man, was für eine unglaubliche Leistung. Ich habe echt soooo viel Respekt vor den Läufern, die sich an diese Distanz wagen. Aber das was du da auf die Beine gestellt hast ist echt aller Ehren wert!! Da gehen einem echt die Superlative aus! Auch dein ausführlicher Bericht ist einfach Wahnsinn! Das gibt einem einen schönen Einblick in eine Welt von der man selbst vielleicht nur träumen wird. Bleibt mir nur zu sagen, Herzlichsten Glückwunsch und weiter so!! Ich hoffe das wir uns in Düsseldorf dann mal live kennenlernen!!

Kommentar verfassen

Nach oben scrollen