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Wer lange läuft, der ist hier richtig!

New York Marathon 2018

Thomas Gehlen über sein Lauf-Highlight schlechthin

Da soll noch einmal etwas gegen die Bronx sagen. Die Meile von der Endhaltestelle an der 242th Street/Ecke Broadway zu unserer Unterkunft in den vorherigen zehn Tagen fühlt sich wie ein Triumphmarsch an. Die Finishermedallie, die stolz um meinen Hals baumelt, findet Beachtung unter den Anwohnern der Nebenstraße des Broadways, unserem Domizil in den letzten zehn Tagen. Die Bewohner sind ein bunter Mix aus Nationalitäten, der ja auch so typisch für New York ist.

„You’ve done the whole 26,2 Miles?“, fragt der dunkelhäutige, gut gelaunte Nachbar, während er mit seiner Gattin in seinen Ford steigt. „You are a Finisher!? – my respect“, lobt die nette Nachbarin mit der „Cortez“-Wahltafel im Vorgarten. „My congratulations“, äußert auch die ältere Latinodame beim Abbau ihrer Halloweendekoration im Vorgarten. Die herbstlichen Bäume leuchten in ihren schillernden Farben und verleihen dem ausklingenden, sonnigen Tag einen zusätzlichen Glanz. Alles ist perfekt und gut, hat sich gelohnt und aus tiefster Überzeugung kann ich sagen, dass der New York Marathon bis dato der stimmungsvollste und schönste Marathon meines Lebens war. Der wahrscheinliche Höhepunkt meines Läuferlebens.

Ich bin froh, dass meine Frau diesen schönen Gang mit mir teilt, hatte sie doch in den letzten Monaten ein um das andere Mal darunter zu leiden gehabt, dass der Läuferkörper ihres 53jährigen Ehemannes nach 22 Jahren mit wenigstens einem Marathon pro Jahr, nicht mehr so funktionierte wie gewohnt. Erst ein Meniskusriss im März mit notwendiger Operation und ein Muskelriss sechs Wochen zuvor hatten einen Start in Big Apple am 4. November höchst unwahrscheinlich gemacht und ich hatte mich in dunklen Stunden schon damit abgefunden wohl auch gar keinen Marathon mehr laufen zu können und auch die Startgebühren abgeschrieben. Meine geplanten Trainingskilometer in den Monaten zuvor fielen auch aus Vernunfterwägungen sehr bescheiden aus und ich musste leider als Laufmonsterküken auch den Köln Marathon absagen. Immerhin blieben da ja noch die Aussicht und der Trost auf zehn Tage New York. Für mich auch das erste Mal.

Einen Startplatz in New York zu ergattern ist nicht leicht. Auf knapp mehr als 50.000 Starter kommt ein Vielfaches an Bewerben, sodass manch Einer die sichere, aber teure Variante wählt und rund € 500 für eine garantierte Startplatzgarantie mittels Buchung über einen Reiseveranstalter berappt; ein Betrag, der zusätzlich zu den knackigen Flug- und Hotelkosten (so um die € 2000 für vier Tage) anfällt. Dank einer Zeit unter knapp drei Stunden beim Barcelonamarathon im Jahr zuvor, war es mir möglich über meine Qualifikationszeit in das Starterfeld rutschen und wir konnten Flug und Airbnb-Unterkunft frei buchen. Die Wahl der Unterkunft erwies sich als Glücksfall. Die Bronx ist entgegen der ersten Annahme der grünste der New Yorker Stadtteile und wir hatten die beste Laufstrecke im dort bekannten Cortlandpark, an dem wir mehrere Laufveranstaltungen anschauen und auch selber laufen konnten.

Meine Qualifikationszeit in Barcelona schien mir von Woche zu Woche unerreichbarer. Nein, das war ein anderes Zeitalter. Und so stand für mich schon früh fest, dass dieses Mal ein „irgendwie ankommen“ angesagt war. Hauptsache die Medaille. Das Höhenprofil des Laufes im Hinterkopf trug nicht eben dazu zum Optimismus bei, wird der Kurs doch als ausgesprochen anspruchsvoll, wellig und auch mit Schlaglöchern übersät beschrieben.

Und so verbrachten wir die acht Tage vor dem Marathonsonntag auch nicht unter Trainingsgesichtspunkten, sondern mit dem Anspruch New York ein wenig kennenzulernen. Als unauslösliches Erlebnis bleibt ein Billy Joel Konzert im Madison Square Garden an einem Samstagabend, nach dem wir uns einig waren, dass jetzt „anundfürsich“ nichts Besseres mehr kommen kann und braucht. Madison Square ist nach eigener Aussage ein Heimspiel für den Piano Man. Für uns bedeutete es ein „Eingrooven“ auf New York mittels Songs, wie „New York State of mind“ und „Seen the lights go out on Broadway“. Unter dem begeisterten Eindruck des Konzerts stattete ich auch meine Playlist für den Marathon ganz neu aus. Die Vorbereitung auf einen Lauf beinhaltet für mich auch die Zusammenstellung einer Playlist, wobei insbesondere den letzten Songs der anvisierten Zeit eine hohe Bedeutung zukommt (der sollte einerseits nicht zu schnell getastet, aber auch nicht zu sehr in Moll sein).

Ich darf vorwegnehmen, dass die Musik mir diesmal Riesendienste geleistet hat. Die Stimmung unter den Zuschauern insbesondere während des Laufabschnitts in Brooklyn war dermaßen frenetisch, dass ich manches Male, ein innerliches Überpacen vermeidend, zu meinen am Halsschal baumelnden Stöpseln griff um Ruhe und Rhythmus in vertrauten Klängen zu finden. Die Lafayette Avenue in Brooklyn zwischen Meile 8 und 9 mit ihren anfeuernden Anwohnern, die teilweise gefühlt in Zehnerreihen anfeuern, verbietet eine Nichtbeachtung. Das Abklatschen und Kommunizieren mit jubelnden Menschenmassen kostet aber auch Kraft und Konzentration. Und mit diesen hieß es diesmal zu haushalten.

Der New York Marathon bietet einiges für Augen und Ohren. Es waren bestimmt mehr als 40 Bands, Sänger, Trommelgruppen oder Artisten, die man im Vorbeilaufen mitnimmt (und manche Klänge laden durchaus zum Verweilen ein). Der Gedanke tröstet, dass es bei einem, der aufgrund von Kopfhörern nicht richtig lauscht, ja für die Interpreten ein Trost ist behaupten zu können, sie hätten heute vor mehr als 50.000 Zuschauern gespielt. Nein, ein Glas Wein ist gut, zwei oder drei vielleicht auch, aber dann ist es halt es zu viel und ein Effekt droht sich ins Gegenteil zu verkehren. Leonard Cohen’s „Seemed a better way“ ist dann wie ein Glas Wasser. Apropos Wasser. Die Versorgungpunkte auf der Strecke sind zwischen Meile 3 und 25 jede Meile platziert, wobei die Auswahl zwischen Wasser und Gatoradetrinks besteht.

An Essbarem werden zwischen Meile 20 und 23 Bananen angeboten. Ich schätze die halbgefüllten Plastikbecher, die ein Trinken ohne Unterbrechung durch Knicken ermöglichen. An diesem Tage waren die Temperaturen beim Lauf warm, aber manches Male habe ich mir schon bei kälteren Temperaturen lauwarmen, leicht gesüßten Tee herbeigesehnt.

Meine Frau und ich hatten in den Tagen zuvor eine optimale Möglichkeit gefunden sowohl Laufstrecke als auch New York zu erkunden: mittels Fahrrad. „Ihr seid wahnsinnig in New York Fahrrad zu fahren“, hatte uns manch gut meinender Zeitgenosse vor unserem Trip mit auf den Weg gegeben. Nein, Fahrrad fahren in New York ist entspannter als Autofahren oder auch über die 5th Avenue zu flanieren. Der New Yorker Autofahrer ist dermaßen abgestumpft angesichts von Fußgängern, die ungeachtet von roten Ampeln die Straßen spazieren, dass er seinen Zorn gegen Seinesgleichen richtet und den anderen Autofahrer bereitwillig anhupt. Der Fahrradfahrer läuft hier wohl unter „ist wie ein Fußgänger“ und wird in Ruhe gelassen.

Zusätzlich haben die letzten beiden Bürgermeister New Yorks, Bloomberg und de Blazo, ordentlich in Fahrradwege z.B. am Hudson- und Eastriver und Bikestationen investiert, sodass man das Fahrrad als schnelles und sicheres Fortbewegungsmittel in NY nur empfehlen kann. Die regulären Mietpreise sind jedoch happig und belaufen sich auf durchschnittlich €35 pro Tag mit Schloss, Helm und Korb. Wir hatten das Glück am ersten Tag auf einen Anbieter zu stoßen, der seine Bikes wohl aufgrund fehlender Nachfrage für €10 pro Tag anbot. Die gelben Visitenkarten mit den reduzierten Preisen haben wir sorgfältig aufbewahrt, denn das Vorzeigen bei der Fahrradabholung am Morgen glich jedes Mal nach Nennung des regulären Preises einem Royal Flash.

Was nach einem Marathon neben den klassischen Parametern, wie Zeit und Laufstrecken bleibt, sind einzelne Momente und einzelne Episoden mit Menschen. Mit seiner Anmeldung fängt sich der New Yorker Marathonläufer eine stetige, zunehmende Anzahl von Mails der New York Runners Dachorganisation ein. Ab einem gewissen Zeitpunkt hatte ich begonnen diese schlichtweg zu ignorieren und zu löschen, was sich als Fehler herausstellte. Mitte Mai hatte der Veranstalter wohl nach dem Transportmittel gefragt, welches die Läufer zum Start in Staten Island befördert. Hier werden als Alternativen die Fähre oder ein Busshuttle angeboten. Da ich die im Juli auslaufende Frist verpasst hatte, drohte mir also ein gesunder einstündiger Fußmarsch über die Verazzanobrücke, um den Startpunkt zu auf der Insel zu erreichen. Der Gang nach Canossa sollte für mich mit Abholung der Startunterlagen auf der Marathonmesse, die ab Donnerstag nah am Hudsonriver stattfand erfolgen. Die Helfer waren zahlreich, die Messe laut und überteuert (ich habe in Köln schon Schnäppchen machen können, in NY fingen die Preise z.B. für ein T-Shirt doch erst bei €30 an) und ich wollte ganz schnell wieder zu meinem vor der Halle abgestellten Fahrrad. Nach Abholung des transparenten Startersacks suchte ich mir verstärkt durch meine Frau Rat bei einem der zahlreichen Servicetable.

Der ca. 50jährige, schmale dunkelhaarige Weiße hinter einem der ersten Tische ließ sich nicht lange bitten. „Let me guess what you want. You haven’t answered one of of our twenty mails concerning the transport and now you asking for a late booking. Stop. Say nothing. Next time you swim!“ Überrascht durch die heftige Standpauke suchte ich nach Entschuldigungen. „O.k., what do you want? Bus or ferry?“ Ich wurde mutiger und fragte nach der günstigeren Möglichkeit. „Ferry leaves at 6:30 am im Norden from Battery Park and bus at 6 am from Central Park.“ Ich war entsetzt. Bei meiner Startzeit um 6Uhr bedeutete dies für mich um 4:30 Uhr aufzustehen, was ich als ausgesprochen leistungsmindernd erachte. Zudem sollte die Temperatur am Morgen nur 5 Grad betragen. „I told you, you ganna swim!“.

Erst jetzt bemerkte ich erstmals ein Schmunzeln des Mannes. „I’m running too on sunday, I will be in the bus as well and we can have a nice talk during the race.“ Auf meinen Startblock für die schnelleren Läufer schauend, schränkte er ein. „Don’t wait for me when you through. You could get cold“. Er übergab mir das Transportbändchen für den Bustransfer und wir frotzelten noch ein wenig. Im Gehen hörte ich noch seine Begrüßung für den nachfolgen Bittsteller: „Let me guess what you want….“ Der Mann schien Freude an seinem Ehrenamt zu haben, wie auch die zahlreichen andern Ehrenamtler, die durch die Bank gut gelaunt und freundlich schienen.

Der Bustransfer nach Staten Island erwies sich aus meiner Sicht als einziger Kritikpunkt. Der Marathon nimmt alle fünf Stadtteile (Staten Island, Brooklyn, Queens, Bronx, Manhattan) mit. Da ist ein Transport über das Nadelöhr der Verazzanobrücke wohl die einzige Möglichkeit den Start zu erreichen. Hunderte Busse am Sonntagmorgen übersteigen die Kapazitäten. Nach 2Stunden und 30Minuten „stop and go“ ohne Toilette fasste ich jedoch den inneren Entschluss: „Next time I will swim“.

Als kleines menschliches Highlight erwies sich für uns auch das Fest der 137 teilnehmenden Nationen am Abend des Freitags vor dem Marathon, das nach dem Einzug der Nationen mit einem Feuerwerk seinen Abschluss fand. Wir fanden einen guten Platz auf der Tribüne, mussten aber bald feststellen, dass wir eher einen Exotenstatus hatten und uns somit schnell zu integrieren hatten.

Nach dem glücklichen und rechtzeitigen Verlassen des Transferbusses brauchte es nicht mehr lange bis zum Start. Als vorbildlich empfand ich die zahlreich aufgestellten Wäschewagen, an denen sich die wärmende Kleidung entsorgen ließ. Die Kleider werden explizit gesammelt und für einen wohltätigen Zweck versteigert. Ich hatte das Glück in einer Startgruppe gelandet zu sein, die auf der zweigeschossigen Verazzanobrücke oben laufen darf und kam von daher in den Genuss das Singen der U.S.-Hymne in der ersten Reihe verfolgen zu dürfen. Die Inbrunst beim Absingen manches Nachbarn in meinem Startfeld erinnerte mich an das Gefühl, das ich bei FC-Heimspielen verspüre.

Bei der Nachbereitung des Marathons und Betrachtung meiner Zwischenzeiten fällt es mir relativ leicht zu analysieren, wie ich mich während des Laufes körperlich gefühlt habe. Bei Kilometer 25 habe ich kurz damit gekämpft aufzugeben, da zu einer Erschöpfung auch der Schmerz im operierten Knie kam. Irgendwie trabt man dann weiter und verdrängt im Nachgang, wie nah man davor war, dass sich die bis jetzt andauernde Euphorie auch hätte in Frustration verwandeln können. Der schönste (und mein schnellster) Abschnitt waren die Kilometer in Brooklyn bei strahlendem Sonnenschein und 13 Grad.

Die letzten Kilometer die 5th Avenue auf Höhe Central Park und im Central Park pushen sicherlich aufgrund der Menschenmengen und des historischen Abschnitts, sind aber auch ganz schön hügelig. Ich war froh meine Frau unter den Zuschauern um den Centralpark zu wissen und mich gut zu fühlen. Einige Bekannte und Freunde haben mir erzählt, dass sie mich den ganzen Lauf getrackt haben und mich somit in Echtzeit verfolgt haben. Am nächsten Tag fielen die zahlreichen Läufer mit umgehängter Medaille oder den offiziellen Runner-Shirts in den Parks, Cafes, auf der Straße und am Flughafen auf und ich habe viele positive Gespräche mit ganz vielen Nationen führen können.

Ich habe so das Gefühl, dass da auch bald wieder große Lust auf einen längeren Lauf wächst. Ein Gefühl, das für mich von jetzt auch unter „New York State of mind“ läuft.

2 Kommentare zu „New York Marathon 2018“

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