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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Eine Rezension von Thomas Gehlen

„Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ ist ein leises, autobiografisches Buch des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami, in dem er seine Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse rund um das Laufen beschreibt.

Der 1949 in Kyoto geborene Autor zählt zu den bedeutenden zeitgenössischen Autoren und wird alljährlich auch bei den Literaturnobelpreisverleihungen als möglicher Anwärter gehandelt. Seine Bücher finden sich auch in Deutschland regelmäßig in den Bestsellerlisten wieder. Neben dem Schreiben gilt das Laufen als Leidenschaft Murakamis, bei der er sich Kraft, Inspiration und Zähigkeit als Ausgleich zu sitzenden Tätigkeit am Schreibtisch holt. Zu beiden Leidenschaften fand Murakami erst jenseits seines 30. Lebensjahres. Mittlerweile hat er mehr als 35 Marathonläufe in einem fast jährlichen Zyklus absolviert. Den Reiz des bereits 2007 veröffentlichten, rund 160 Seiten umfassenden Erzählbands, macht die Beiläufigkeit aus, in der Murakami dem Leser seine Einsichten rund um das Laufen mitteilt. Gerade hierin unterscheidet er sich wohltuend von den Ratgebern unserer Zeit, die das Laufen meist in Zusammenhang mit Selbstoptimierung oder auch spiritueller Erhöhung anführen. Beispielhaft lässt sich ein früher Gedankengang des Buches zitieren, dem langjährige Läufer wohl ganz überwiegend spontan beipflichten werden:

„Manche Leute sind beeindruckt, wenn ich erzähle, dass ich jeden Tag laufe: „Sie müssen ja einen starken Willen haben“. Natürlich freut mich dieses Lob…. Dass ich jetzt seit über zwanzig Jahren laufe, liegt letztlich daran, dass diese Art von Bewegung zu mir passt. Die Willenskraft spielt dabei kaum eine Rolle. Ganz gleich, wie willensstark jemand ist und wie sehr er Niederlagen verabscheut, er wird bei keinem Tun lange durchhalten können, wenn es ihm von Grund auf zuwider ist. Darum empfehle ich Freunden nie, ebenfalls zu laufen. Ich sage nie etwas wie „Laufen ist einfach wunderbar. Alle sollten es tun. Wenn jemand Interesse am Langstreckenlauf hat wird er von selbst damit anfangen, auch wenn man ihn nicht dazu drängt. Ich möchte den Schulen gern raten, nicht alle Kinder die gleiche Distanz laufen zu lassen, aber natürlich würde niemand auf mich hören. So ist die Schule nun einmal.“

Aus Sätzen wie diesen spricht eine seltene Ehrlichkeit gepaart mit einfacher Dankbarkeit für das Laufen. Ein leichter Spannungsbogen entsteht durch den Tagebuchcharakter der Ausführungen, die im Rahmen einer Marathonvorbereitung zwischen Sommer 2005 und Herbst 2006 geschrieben wurden. Zeiten und Entfernungen erwähnt Murakami nur beiläufig. Er fasst dies folgendermaßen zusammen: „Persönliche Bestzeit, Rang, Äußerlichkeiten und das Urteil anderer – all das ist zweitrangig. Für einen Läufer wie mich zählen vor allem die Ziele, die ich mir selbst gesteckt habe, mit meinen Beinen zu erreichen. Wenn ich alle Kraft gebe, die ich zu geben habe, alles ertrage, was ich ertragen kann, bin ich auf meine Weise zufrieden. Aus all meinen Fehlern und Freuden ziehe ich eine konkrete Lehre – sie kann ruhig klein sein, aber konkret muss sie sein. Und mit der Zeit, mit den Jahren, in denen ich einen nach dem anderen Wettkampf absolviere, werde ich am Ende einen Ort erreichen, an dem ich zufrieden bin.“ Wer sich durch das Buch Verbesserungen oder Hinweise zur Leistungsoptimierung verspricht, hat sein Geld sicherlich nicht richtig investiert. Murakamis Trainingsplan für den bevorstehenden Marathon scheint allenfalls eine Marke von ca. 310 km pro Monat zu umfassen, die es zu laufen gilt. Unabhängig von Tempoläufen oder Erkenntnissen rund um eine optimale Ernährung

Im tieferen Sinne ist „…wenn ich vom Laufen rede…“ dann doch wieder ein Ratgeber, der mit jedem Lesen neue Erkenntnisse, die teilweise noch unausgesprochen schlummerten, verdeutlicht und vor Augen führt. „Talent hat seinen eigenen Willen und quillt über, wenn es ihm passt. Und wenn es versiegt, ist es eben das Ende. Genies wie Schubert, Mozart und ein paar Dichter und Rocksänger, deren glanzvolle Begabung sich für kurze Zeit mit Macht entfaltete und deren früher dramatischer Tod sie zu Legenden machte, haben einen gewissen Reis, aber die Mehrheit von uns kann ihrem Vorbild nicht folgen.“

Eindrucksvoll beschreibt Murakami auch extreme Lauferfahrungen, wie die eines 100 km-Laufes mit teilweise transzendentalen Momenten, nach dem er sich einige Wochen so leer fühlt, dass er nicht weiß, ob er jemals wieder laufen wird. In jedem Satz auch seiner anderen Wettkämpfe spiegeln sich Murakamis Leidenschaft für das Laufen und auch seine Ängste im Hinblick auf das Älterwerden und Versagen wieder. Jeder, der längere Zeit läuft, wird diese Gefühle nachvollziehen können und vielleicht auch unterstützt und motiviert fühlen.

„Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ macht vielleicht auch Lust auf Murakamis Romane, die gleichsam realistisch wie esoterisch wirken, den Leser aber stets in einer Spannung halten. Inwiefern das Laufen hierfür Plattform, Auslöser oder sogar philosophischer Unterbau ist, bleibt offen. Sicher ist jedoch, dass Menschen, die sonst nicht viel Lesen, das Buch zu schätzen wissen.

Ursprünglich erschienen im BTB Verlag – ISBN 978-3-442-73945-5 – Auch als eBook erhältlich

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