Nur die älteren Langläufer werden sich an diesen Namen noch schemenhaft erinnern: Donald Macgregor, der „fliegende“ Schotte. Donald Macgregor ist nicht irgendwer: Er ist der schnellste Marathonläufer, den das Bergische Land je sah. Lang, lang ist es her, über vier Jahrzehnte. Macgregor lebt mittlerweile in St. Andrews. Und wir stöbern ihn tatsächlich dort auf, einer Kleinstadt in seiner schottischen Heimat. In St. Andrews verbringt er seinen Lebensabend. Mit dem Laufen klappt es nicht mehr. „Ich habe einen Schrittmacher“, meint er augenzwinkernd. Und setzt hinzu: „Dass ich nicht lache.“ Auch die Lunge bereitet Probleme. 77 Jahre alt ist der Olympia-Siebte im Marathonlauf von München 1972 mittlerweile.
Sein größter Erfolg. 2 Stunden, 16 Minuten und 34 Sekunden rannte der Schotte damals. Donald Macgregor hat sich damit nicht nur in den olympischen Bestenlisten verewigt. Er lief damals als ein offizielles Vereinsmitglied der Laufabteilung des TV Refrath. Generationen von Refrather Läufern haben sich an dieser Marke versucht, geknackt hat sie keiner. Macgregors 2:16:34 Stunden sind seit 44 Jahren Marathon-Vereinsrekord des TV Refrath. Der offizielle Kreisrekord liegt (natürlich) darüber. Geführt wird die Rekordliste aber auch erst seit 1976. Daniel Schmidt war aus Refraths Reihen zuletzt ein Kandidat, der der damaligen Top-Zeit nahekam.
Austauschlehrer am Niederrhein
Wie aber kommt ein Schotte, ein Brite dazu, für den TV Refrath an den Start zu gehen? Anfang der 1970er Jahre gab es die riesigen Stadtmarathons noch gar nicht, selbst den in Berlin nicht. Alle Athleten liefen im Wald. Die Sportler trafen sich in Bräunlingen/Schwarzwald, Dülmen/Westfalen oder im Königsforst zum Marathonlauf. Das alles liegt für jemanden aus Schottland nicht ganz um die Ecke. Marathonläufer galten als arme Verrückte, die sich auf eine mörderische Sache einließen.
Es war sein Beruf, der Donald Macgregor nach Deutschland und zum TV Refrath brachte: Er war Deutschlehrer. Zwischen Herbst 1971 und Sommer 1972 nahm er an einem Austauschprogramm am Gymnasium in Emmerich am Niederrhein teil. „Da kam ich irgendwie in Kontakt mit dem TV Refrath, ich glaube, weil ich am westdeutschen Marathon teilnahm, den ich ,außer Konkurrenz’ mit 2:19:00 Stunden gewann.“ Ausrichter war an diesem 30. Oktober 1971 der TV Refrath. Nach dem Start auf dem Sportplatz an der Refrather Steinbreche ging es hinein in den Königsforst.
Die Refrather Leichtathleten führte damals Willi Haman als Vorsitzender, ein leidenschaftlicher Veranstalter von Volksläufen und jemand, der für den Laufsport brannte. Haman sprach Macgregor einfach an (Macgregor: „Er hat mich kassiert“) und lud ihn zu den Refrather Sonntags-Volksläufen ein, den ersten überhaupt, die es im Königsforst gab. Macgregor, Markenzeichen Brille, kam gerne vorbei und fand Gefallen an den läuferischen Aktivitäten. Schnell war der schnelle Schotte geworben für eine Vereinsmitgliedschaft. In Waldniel, bei einem Marathonlauf im April 1972, feierte er den ersten Kreisrekord für seinen neuen Klub. 2:25:18 Stunden. Aber er sollte bald noch schneller unterwegs sein. Auch über 10, 15 und 20 Kilometer holte er Siege für den TV Refrath. Einen Monat später, im Mai 1972, lief er in Manchester eine Zeit von 2:15:06 Stunden und qualifizierte sich für die englische Olympiamannschaft im Marathonlauf.
Macgregors Renntaktik ist bis heute beispielhaft
Im September 1972 dann das olympische Rennen. Macgregor startete langsam mit Platz 36, holte auf den letzten Kilometern Platz um Platz auf. Im Ziel lief er Seite an Seite mit Ron Hill, dem favorisierten Briten. Macgregors Renntaktik machte ihn in Schottland legendär. Sie gilt heute noch als beispielhaft. „Ich möchte ein gutes Rennen laufen“, teilte er dem Reporter dieser Zeitung mit, der ihn damals im Olympischen Dorf besuchte. In den Wochen zuvor hatte sich der Langstreckler mit dem britischen Team beim Höhentraining in Sankt Moritz/Schweiz in Form gebracht. Doch der hagere Läufer (180 cm, 63 kg) war vom Erfolg des Trainingslagers nicht überzeugt. „Ich fühle mich durchaus normal, nicht schwächer, aber auch nicht stärker.“
Mit den Spielen endete auch die Deutschland-Zeit von Macgregor. Noch im Olympiadorf gibt er dem Zeitungskorrespondenten einen Grußauftrag an die bergischen Freunde mit. „Leider komme ich in nächster Zeit nicht mehr ins Bergische Land. Darum grüßen Sie meine Freunde dort bitte von mir.“ Mitgenommen zu den Spielen hatte Macgregor die besten Wünsche seines Heimatvereins, dem „sympathischen und fairen Sportsmann“ wünschte der Vorsitzende „einen guten Platz bei den Olympischen Spielen in München und für die Zukunft berufliches Fortkommen, Gesundheit und weiterhin viele, viele sportliche Erfolge.“
Nach seiner Laufkarriere wurde Macgregor Lehrer für Deutsch am Madras College in St. Andrews. Er arbeitete als Übersetzer, zog in den 1980er-Jahren für die Liberal-Demokraten ins Regionalparlament ein, er schrieb einen Gedichtband und eine Autobiographie („Running my life“, 2010) und trainierte über Jahrzehnte schottische Langstreckenläufer. Auch heute ist er noch auf der Tartanbahn anzutreffen, als Coach seines Vereins in Saint Andrews, dem Fife Athletic Club. Als Übersetzer arbeitet er regelmäßig für das Journal of Olympic History.
Das bergische Laufjahr 1971/72 ist beim Schotten auch im Alter noch in guter Erinnerung. „Leider habe ich keine Kontakte nach Refrath, würde sie aber gerne wieder aufnehmen“, betont Macgregor. Derzeit arbeite er gemeinsam mit einem Freund, dem deutschen Sporthistoriker Volker Kluge, an einem Buch über Otto Peltzer, herausragender Läufer der 1920er- und 1930er-Jahre. Der Sport lässt ihn auch im Alter nicht los.
Original-Artikel via Rundschau-Online
Vielen Dank an Claus Boelen-Theile für die Freigabe des Textes – Koordination über Jochen Baumhof