Ein Läuferleben kennt bekanntlich Höhen und Tiefen. Heute möchte ich mal von letzteren berichten, schließlich war der Jungfrau Marathon 2012 trotz allem ein beeindruckendes Erlebnis. Heute genau vor einem Jahr durfte ich den absoluten Höhepunkt meiner Laufkarriere erleben – Bestzeit in Berlin. Ein Jahr später stimmte allerdings nur das Wetter überein, die sportlichen Voraussetzungen waren leider ganz anders.
Nach guter Vorbereitung mit einigen Höhenmetern in den „Odenthaler Alpen“ ereilte mich genau eine Woche vor dem Jungfrau Marathon mal wieder eine ominöse Verletzung aus dem Nichts: über Nacht habe ich mir durch eine ungeschickte Bewegung im Schlaf den oberen Halswirbel ausgerenkt. Der Start bei den LVN 10 km Meisterschaften als letzter Test fiel damit schon mal aus. Dank manueller Therapie war der Wirbel dann aber schon Montag wieder an Ort und Stelle, die Nachwirkungen spüre ich aber heute noch.
Mit Schmerzmitteln und Heilsalben versuchte ich mich fit zu machen für die Jungfrau, vielleicht ein bisschen viel für meinen Körper. Dann kam das berüchtigte Kratzen im Hals, natürlich immer dann, wenn das Immunsystem angegriffen ist. Zwei Tage vor dem Start dann die Nase dicht und in der Nacht vor dem Marathon merkte ich, wie sich der Infekt auf den Weg Richtung Bronchien gemacht hatte. Trotzdem, ich wollte, da ich mich körperlich nicht geschwächt fühlte und auch noch keinen Husten hatte, den Start wagen. Schließlich war der Marathon ein weiterer „Must Have“ Baustein in meiner Karriere, hatte einige Franken gekostet, ich war nicht allein sondern mit Familie, Daniel K. mit Freundin und Kollege Uwe von den Waldschleichern, es waren Bergmarathon Weltmeisterschaften und das Wetter war kaiserlich.
Unser Aufenthaltsort Mürren, gelegen auf über 1.600 Metern Höhe am Berg gegenüber der Zielregion, war traumhaft schön und wäre sicherlich weitere Reisen wert, wenn nicht diese Schweizer Preise wären (Parken, Bahnfahrten, Lebensmittel, etc.). Wir hatten vom Balkon aus freien Blick auf das Dreigestirn Eiger (3.970 Meter), Mönch und Jungfrau (beide deutlich >4000 Meter). Daneben am Fuße der Eigermoräne der Zielort Kleine Scheidegg auf 2.100 Metern Höhe.
Freitag war Anreise im autofreien Ort. Samstag wurde alles erkundet (z.B. durch ein kleines Läufchen), in Interlaken die Startunterlagen abgeholt und relaxed. Sonntag dann unser Start in Interlaken, alles lief reibungslos bis auf die sich anbahnende Erkältung. Die Sonne strahlte, es waren schon knapp 15°C – anderthalb Wochen zuvor hatten im Zielbereich noch einige Zentimeter Schnee gelegen. Endlich ging es nach der Vorstellung der internationalen Favoriten auf den WM-Titel um 9:00 Uhr los. Ich lief zusammen mit Daniel, die ersten absolut flachen 10 km nahmen wir in etwas unter 4er Schnitt in Angriff. Die Stimmung war grandios, es ging eine kleine 4 km Runde durch das Stadtzentrum, dann raus zum Brienzersee durch einen angrenzenden Ort.
Nun folgten 10 leicht ansteigende Kilometer nach Lauterbrunnen, zumeist entlang eines kr�ftigen Gebirgsbaches durch�s Tal. Die Strecke lief �berwiegend �ber Wirtschafts- und Wanderwege, ab Lauterbrunnen dann wieder viel �ber Asphalt. Daniel war meistens einige Meter vorweg, schien hier schon deutlich fitter als ich, wartete immer mal wieder um die tollen Fotos zu schie�en. Durch Lauterbrunnen liefen wir gemeinsam, vorbei an unseren Angeh�rigen. Den Halbmarathon absolvierten wir in der anvisierten Zeit von knapp unter 1:30 h, in etwa wie beim Monschau Marathon. Doch nun baute ich merklich ab.
Mir fehlte irgendwie schon jetzt die Power, obwohl die n�chsten 5 km absolut flach waren und in einer Schleife wieder zur�ck nach Lauterbrunnen f�hrten. Daniel konnte ich nicht mehr folgen. Er merkte das und wartete ein letztes Mal auf mich bis der erste heftige Anstieg kam. �ber ca. 3 km ging es steil bergauf in Serpentinen nach Wengen. Bereits nach 100 Metern musste ich gehen. Das taten zwar einige andere auch, allerdings deutlich dynamischer als ich. Auch die letzte Hoffnung, dass es mir im Anstieg wieder einigerma�en besser gehen w�rde, zerschlugen sich nun. Erstmals spielte ich mit dem Gedanken aufzugeben. Dabei hatte der Jungfrau Marathon doch erst gerade richtig begonnen.
Die Kilometrierung wechselte nun in 250 Meter-Abschnitte. Deprimierend, wenn man so langsam unterwegs war wie ich und nach Minuten gerade mal den n�chsten Viertelkilometer bew�ltigt hatte. Ab Kilometer 28 wurde es teilweise wieder etwas flacher und ich begann wieder zu laufen anstatt zu gehen, doch selbst hier setzte mir das weiterhin stark zu. Der Gedanke an den Ausstieg wurde konkreter. Eigentlich hinderte mich nur, dass es hier so ein besonderes Erlebnis war, welches man einmal im Leben schaffen m�chte.
Die n�chsten 2 Kilometer verliefen durch den alpinen Skiort Wengen, bekannt durch die ber�chtigte Lauberhorn-Abfahrt, die l�ngste im alpinen Ski-Weltcup. Und genau die sollten wir ja bis fast oben hin hoch laufen. Das Zuschauerspalier wurde wieder dichter, Wahnsinn was hier los war. �berall johlende Leute und Kuhglocken. Das motivierte wieder ein bisschen und entlockte mir letzte nicht mehr geahnte Energien. Aber wie sollte ich in der Menge Frau und Sohn ausmachen? Da war die Bahnstation, hier mussten sie irgendwo stehen. Und da sah ich sie auch schon.
Daniel, der hier vor mehr als 10 Minuten durch war, hatte bereits durchgegeben, dass es mir nicht gut ging. Und zus�tzlich sah man es mir wohl an. Zeiten waren nun sowieso egal, also blieb ich einige Zeit stehen. Meine Frau Kerstin wollte mich �berreden, doch besser auszusteigen. H�tte ich mal auf sie geh�rt. Andere best�rkten mich in dem Gedanken, es doch noch ein wenig zu versuchen, vielleicht k�me ich ja irgendwie irgendwann oben an. Leider h�rte ich auf diese Leute und setzte meinen Schleichzug fort.
Bereits einen Kilometer sp�ter, es wurde einfach nicht besser, fasste ich den Entschluss gleich irgendwo auszusteigen. Schlie�lich merkte ich ja auch, dass da doch ein kleiner Infekt in mir w�tet und mich bei schlechtem Verlauf sicherlich f�r l�ngere Zeit aus dem Verkehr ziehen k�nnte. Das Risiko war einfach zu gro�. Die Gedanken kreisten und dabei schleppte ich mich walkend weiter bis km 32 zu einer Verpflegungsstation. So, nun musste ich aber entscheiden ob ich zur n�chsten Bahnstation gehe (wenn denn noch eine kommt) oder wieder die letzten 2 km zur�ck.
Ich bekam die Info, dass nach einem knappen weiteren Kilometer eine weitere Station kommt und da der Weg k�rzer war als zur�ck, ging ich auch noch bis km 33. Hier stieg ich aus, meldete mich noch brav bei einem Offiziellen ab, das Ende meines Jungfrau Marathons 2012. Zum Ziel musste ich sowieso, sonst k�me ich nicht an meinen Kleiderbeutel.
Nach ewiger Warterei auf die v�llig �berf�llte Bergbahn, sch�n die L�uferkette beobachtend, einer Slowmotion-Fahrt mit kleineren Kreislaufproblemchen (Ich hatte ja auch nix zu trinken), erreichte ich den Zielort Kleine Scheidegg und konnte direkt meinen Kleiderbeutel abholen. Was ich noch nicht wusste, meine Frau war in Sorge um mich auch bis nach oben gefahren, hatte extra noch ein teures Ticket gekauft, das h�tte ich uns ersparen k�nnen. Allerdings empfand auch sie es toll bei strahlendem Sonnenschein und fast 20�C die Zieleinl�ufe der vielen Teilnehmer mit zu erleben, vor allem auch den von Daniel nach grandiosen 3:52:14 h. Er war �berw�ltigt, was ihn ein paar Tr�nen kostete. Ich verlor selbige aus anderem Grunde. Letztendlich waren aber alle froh dass ich so entschieden hatte und gut, wenn auch mit motorisierter Hilfe, oben angekommen war.
Eine knappe Stunde sp�ter kam auch Uwe nach 5:02:00 h ins Ziel. Dies erlebte ich leider nicht mehr live mit, da ich mich bereits auf dem R�ckweg befand. Abends w�rdigten wir das Erlebte, zumindest galt das f�r meine beiden Mitstreiter, noch mit einem guten Essen in einem M�rrener Restaurant. Von den beeindruckenden aber enorm anstrengenden Passagen hoch zur Mor�ne, �ber den Grat, vorbei an Alphornbl�sern und Dudelsackspielern, musste ich mir allerdings erz�hlen lassen. Dahin h�tte ich es aber an diesem Tag wohl eh nicht mehr geschafft. Aber auch mein absolvierter Teilabschnitt reichte, um best�tigen zu k�nnen, dass dieser Marathon zurecht als einer der sch�nsten auf unserem Planeten gilt und einfach mal angegangen werden sollte.
In den folgenden Tagen musste ich das Erlebnis nat�rlich erst mal verdauen. Die Erk�ltung klang schnell wieder ab, ein Zeichen dass ich richtig entschieden hatte. Ich habe ja hoffentlich noch ein paar sch�ne Marathons vor mir und bin fest entschlossen, auch den Jungfrau Marathon noch einmal anzugehen. Vielleicht ja schon in 2013 :)
Fotos: Daniel Kagelmacher von unterwegs (!!)
Hallo Manuel,
super super – beides: deine trotz allem tolle Leistung bis km 33 und dein authentischer Bericht, der uns Marathonläufern mal wieder vor Augen führt, dass es nicht selbstverständlich ist, genau am Tag X topfit zu sein.
Gute Erholung wünscht dir
Verena
P.S.:
Gratulation an Daniel und danke für die beeindruckenden Fotos!
Wiedermal ein Klasse-Bericht!! Da ist man doch gleich wieder mittendrin in diesem genialen Erlebnis-Marathon! Und nochmal Manu, es ist gut so, wie es ist.. du hast genau richtig entschieden. Denn das, was da dann noch kam, wäre sicher alles andere als förderlich gewesen für deine Genesung.. Und wie du schon schreibst, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.. Der Berg wartet noch auf dich!!
Es war auf jeden Fall wiedermal ein herrliches Wochenende mit Euch allen!!
Bis bald,
LG Daniel
P.S.: und danke dir Verena!! Ich wollte soviel wie möglich festhalten von diesem einmaligen Erlebnis.. das war auch mein erster Marathon, bei dem ich die Kamera mit auf die Strecke genommen habe. Bestzeiten waren da eh nicht drin! ;)
„Gänsehaut“-Bericht und klasse Bilder!!!
Da bekommt man gleich wieder das Berg-Feeling.
Ich war via Datasport-Liveticker online bei Euch und habe Dich als letztes beim Kontrollpunkt Wengen gesehen. Da dachte ich mir schon, daß etwas nicht stimmt.
Absolute Vernunftsentscheidung – Gesundheit geht vor!!!
Trotz allem Top Leistungen von Euch, jetzt weiß ich was Daniel mit Genusslauf meint.
Und wenn Du noch eine Rechnung mit der Jungfrau offen hast ?! Ich wär mit dabei.2013 oder so…
Gruß Micha
Hallo Micha,
das freut mich zu lesen. 2013 ist tatsächlich angeplant, anmelden kann man sich aber erst ab Februar. Wenn wir noch mehr werden wäre die Unterkunft in Mürren wieder super, ansonsten würde ich auch in Lauterbrunnen für kleines Geld (gibt´s das in der Schweiz ?) zelten, da ist der letzte strategisch günstige Zeltplatz :)
LG Manuel
Tolle Bilder, toller Bericht, tolle Leistungen!!!
Zu erkennen, einzuschätzen und zu akzeptieren, dass nicht immer alles geht und vor allem die eigene Gesundheit und damit auch die Verantwortung sich selbst und nahestehenden Menschen gegenüber im Vordergrund steht, ist eine große Leistung, die jeden noch so erfolgreichen Lauf übersteigt.
Ich ziehe den Hut vor Euch beiden!
Z.T. bis Freitag
Harald
Hallo ihr zwei!!!
Also eins is doch klar: Um weiterhin bei noch sehr vielen engagierten Wettbewerben dabei sein zu können, muss auf den Körper gehört werden. In deinem Fall, Manuel, sollte es leider an dem Tag nicht sein. Somit natürlich vernünftige, wenn auch sicherlich in dem Moment, nicht einfache Entscheidung! Aber es werden noch weitere Gelegenheiten kommen…
@ Daniel: Klasse Leistung, Respekt und ich hoffe, auf baldiges Wiedersehen !!!!
Monstergrüsse, Daniel G.
Super Leistung – trotz allem! Und Gesundheit geht definitiv vor! 2013 gibts/wartet wieder eine neue Jungfrau.
Gute und vor allem schnelle Erholung.
Andreas
Ein beeindruckender Lauf-Bericht und viele wunderbare Fotos von unterwegs!
Es ist für den Marathoni so schwer an dem einen Tag alles abrufen zu können, was nur durch ein extrem intensives Training möglich ist. Den beiden Finishern herzliche Glückwünsche für die tolle Leistung und für Manuel gute Erholung, der nächste Bergmarathon kommt bestimmt…
Lieben Gruß
Katja