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Der Lauf des Anderen: Fiktion & Realität

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Wie aus Herrn Dreymann der Läufer Engelhardt wurde – und umgekehrt

Starts unter einem fremden Namen und mit ebensolcher Nummer sind in der Szene so dermaßen verpönt, dass es schon fast peinlich ist, darüber zu schreiben. Es sei denn, man ist einer dieser Betrüger, die meinen, generell andere für sich laufen lassen zu können. Davon gibt es zum Glück immer weniger. Ansonsten verbietet es der Fairness-Gedanke schlicht und einfach, für einen anderen an den Start zu gehen. Andererseits passiert es jährlich tausendfach und unter zwangsläufiger Duldung durch die Veranstalter, dass Läufer auf schwarzen Börsen Startnummern handeln und tauschen. Dagegen ist sicherlich auch so bald kein Kraut gewachsen. Es sei denn, man kann – meist gegen eine Gebühr – ummelden oder die Läufer werden irgendwann beim Start biometrisch gescannt und können somit schon vor dem Beginn des eigentlichen Rennens als solche identifiziert werden. Oder eben nicht – mit den erforderlichen Konsequenzen.

Am letzten Wochenende in Köln anlässlich des Jubiläums-Marathons wollte ich mich im Team der Laufmonster inklusive der Charity-Aktion am Weißen Holunder eigentlich nicht sportlich betätigen. Zu viel war doch im Vorfeld immer zu bedenken, planen und organisieren. Man sollte innerhalb der Orga in der Tat auf jede Frage eines Teilnehmers oder Mitstreiters eine klare und prägnante Antwort haben. Ob nun Novize oder alter Hase. Durch den Umstand, sich immer mit allem und allen auseinanderzusetzen – zwangsläufig auseinandersetzen zu müssen – gerät irgendwann der sportliche Zugang selbst zu einem eigentlich doch sehr ansprechenden Event wie dem Köln Marathon aus dem Blick. Wenn noch chronische körperliche Beschwerden dazukommen, geht die Lust, ambitioniert an einem dann auch auf der Halbmarathon-Distanz herausfordernden Wettkampf teilzunehmen, fast vollends verloren.

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Warum ich schlussendlich am Rennsonntag doch im Sonnenaufgang am Deutzer Bahnhof stand, ist einzig und allein der Liebe zum Sport und dem gerade zum Köln Marathon immer mannschaftlich geschlossen auftretenden Hotel-Team zu verdanken, deren handverlesene Starter an diesem Tag bis auf eine betrübliche Ausnahme später alle ins Ziel kommen sollten. Fast irreal. Bei der Ausnahme handelt es sich um hoffentlich einmalige körperliche Probleme während des Laufes und nicht um das in den Vorjahren häufig aufgetretene Problem, dass jemand seinen Zeiterfassungs-Chip nicht rechtzeitig – der Köln Marathon steht ja immer über Nacht plötzlich vor der Tür – gefunden hat und, wie es sich gehört, am Fuß oder Knöchel trägt. Das ist einer der Punkte bzw. Unwägbarkeiten in der Orga für eine große Gruppe, die einem als Zauberlehrling, der glaubt seinen Flohzirkus im Griff zu haben, graue Haare wachsen lassen können. Buchstäblich über Nacht.

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So, wie der Läufer Sebastian Dreymann aus dem Team plötzlich mit einer schweren Erkältung ausfiel. Vom Ernst der Lage und des unsachgemäßen Zustands des Mitstreiters konnte ich mich am Samstag während des gemeinsamen Frühstücks überzeugen. Und mir ein kurzes Stirnrunzeln nicht verkneifen. Warum musste dieser Super-GAU sein? Ich hatte nämlich unlängst gegenüber dem CEO und CFO des Hotels, der übrigens bekanntermaßen eine Frau ist, unmissverständlich die Direktive ausgegeben, dass kein für teures Geld gemeldeter Startplatz mehr ungenutzt verfällt. Sei es nun Marathon oder die halbe Strecke, egal. Die Aussage stand natürlich nach wie vor. Also war ich nun tatsächlich selbst gefordert. Alle anderen waren schließlich ordnungsgemäß gemeldet und wie immer mehr mit sich und ihren Planungen für den großen Tag beschäftigt.

Da fiel mir die Losung für Sonntag wie Schuppen aus den Haaren: Augen zu und durch. Wird schon schiefgehen. Und wenn man völlig losgelöst und nebenbei kaum trainiert zu einem Halbmarathon antritt, kann man nur gewinnen, wenn man locker, unverzagt und schnell loslegt, um die Strecke in möglichst kurzer Zeit hinter sich zu bringen. Bevor der Körper und die alten Knochen überhaupt merken, was passiert und was man da vorhat. Es hilft übrigens, ganz nebenbei, auch ungemein, nach außen ungeschminkte und echte Motivation zu verbreiten und die Mitläufer stets angemessen zu animieren.

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Dann kann man auch solch einen ungeplanten Lauf genießen und mit chirurgischer Präzision den halben roten Startblock, den man mit der blauen Startnummer auf der Brust vor dem Knall zwangsläufig immer vor sich hat, an der Spitze der zweiten Welle sozusagen aufrollen. Gut, irgendwann nach weit über 10 km fühlten sich die Beine ob der schon etwas längeren Belastung und der vielen Überholmanöver ein wenig gestaucht an, trotzdem habe ich bis ins Ziel nirgendwo Zeit verloren, wie die fast identischen Splits der beiden Rennhälften zeigen. Dass die gute Stimmung und Laune deutlich nach draußen durchbrachen, zeigen die vielen Fotos der professionellen Fotografen am Wegesrand. Dass ich auf der Zielgeraden leider unseren Fotografen Winni nicht rechtzeitig gesichtet habe – er aber mich, wie das obige Foto beweist, fiel nur marginal ins Gewicht. Und zeigt zudem, dass die Konzentration und Körperspannung bis zum Zielstrich hochgehalten werden konnte.

So wurde ich durch einen simplen Trick – erzwungener Halbmarathon-Start eines Außenstehenden – ganz überraschend wieder zum richtigen Wettkampfläufer und zum Zweitschnellsten in einem letztlich mehr als homogenen Team, das sich noch unter den ersten 10% aller Mannschaften wiederfand (34. Platz von 352 Mannschaften in 4:36:21 Stunden). Und – das Gedankenspiel schwirrte mir seit meiner Zwangsverpflichtung am Samstag im Kopf herum und spornte mich schlußendlich zusätzlich an – so wurde aus dem realen Menschen Sebastian Dreymann der Dichter „Georg Dreyman“ aus dem Film „Das Leben der Anderen“ – kongenial verkörpert vom bekannten Schauspieler „Sebastian Koch“. Die tatsächliche Person zerfiel in meinem Kopf in zwei fiktionale Hälften, um am Ende als Läufer Sebastian Dreymann den 20. Köln Marathon erfolgreich hinter sich lassen zu können. Mit einer – so Gott, Markus Frisch bzw. Jan Broniecki will – neuen phänomenalen Bestzeit: 1:31:46 Stunden. Besser konnte es an diesem Sonntag – übrigens auch anschließend bzw. bis zum Ende eines langen Tages – nicht laufen.

Dank an Marc Reuther & Winfried Schommers für die schönen Fotos – und an Manuel Skopnik für die unkonventionelle Startsequenz

Alle Ergebnisse

Alle Fotos von Marc Reuther & Winfried Schommers

 

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